Arbeitsmigration in Zentralasien
Arbeitsmigration innerhalb Zentralasiens nützt sowohl den Gastländern wie Kasachstan als auch den ärmeren Herkunftsländern, aber beide Seiten könnten noch mehr Nutzen daraus ziehen, wenn die Herausforderungen einer gesetzlichen Regulierung gelöst werden könnten.
Im Jahrzehnt der Wirtschaftskrise, das in Zentralasien auf den Zerfall der Sowjetunion folgte, waren alle neuen unabhängigen Republiken – Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan – Herkunftsländer von Migranten. Die Abwanderung vieler hochqualifizierter Arbeitskräfte in den 1990er‑Jahren bedeutete einen Braindrain, der in der Region bis heute spürbar ist.
Die kasachische Wirtschaft war die erste, die sich zu erholen begann. Um das Jahr 2000 hatte sich Kasachstan zu einem attraktiven Zielland für Arbeitsmigranten aus anderen zentralasiatischen Ländern entwickelt. Unterschiede im wirtschaftlichen Entwicklungsstand und Lebensstandard sowie die geografische Nähe und der (mit einigen Ausnahmen) visafreie Personenverkehr in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) ermutigte Arbeitskräfte, aus benachbarten zentralasiatischen Ländern, in denen es ein Überangebot an Arbeitskräften gab und die Löhne niedrig waren, nicht nur nach Russland sondern auch in dessen südlichen Nachbarn abzuwandern.
Mitte der 2000er‑Jahre kamen jährlich über eine Million Arbeitsmigranten nach Kasachstan und trugen geschätzte zehn bis zwölf Prozent zum Bruttosozialprodukt (BSP) des Landes bei. In den letzten Jahren ging ihre Zahl durch die Konjunkturabschwächung zwar zurück, dennoch profitiert die kasachische Wirtschaft weiter von den Arbeitsmigranten im Land.
Und auch die Herkunftsländer sind auf der Gewinnerseite. Laut Weltbank machten die offiziellen Geldüberweisungen in die ärmsten zentralasiatischen Länder, Kirgisistan und Tadschikistan, im Jahr 2013 32 beziehungsweise 49 Prozent ihres BSP aus. Der Gesamtwert der inoffiziell in die beiden Länder mitgebrachten Geldbeträge und Waren ist sogar noch höher.
Ein beträchtlicher Anteil der Erwerbsbevölkerung der zentralasiatischen Länder arbeitet im Ausland: Betrachtet man Usbekistan, das bevölkerungsreichste Land, so arbeiten 20 Prozent in Russland, Kasachstan oder einem westlichen Land. Die Abwanderung überschüssiger Arbeitskräfte gleicht die lokalen Arbeitsmärkte aus, wodurch soziale Spannungen und Unruhen vermieden werden. Für die Migranten liegt der größte Vorteil der Arbeit im Ausland darin, dass sie die wirtschaftliche Situation ihrer Familie verbessern. Außerdem sammeln sie berufliche und soziale Erfahrungen und können dadurch bei ihrer Rückkehr in die Heimat auf bessere Jobs hoffen.
Die ungelöste Herausforderung der gesetzlichen Regulierung
Während die Vorteile der Arbeitsmigration in Zentralasien außer Zweifel stehen, ist sie weitgehend ein irreguläres Phänomen. Die vielen Bestimmungen über visafreies Reisen und die geografische Nähe zwischen den Ländern in der Region setzen Anreize für eine spontane temporäre und zirkuläre Migration, die oft saisonal ist. Die Kenntnis der rechtlichen Bestimmungen unter den Migranten ist generell gering. Sie können legal in das Gastland eingereist sein, werden aber oft illegal beschäftigt und erhalten keinen Arbeitsvertrag. Dadurch sind sie ohne sozialen Schutz und dem Staat entgehen die Steuereinkünfte aus ihrer Arbeit. Es braucht gesetzliche Regelungen, die eine legale temporäre Beschäftigung erleichtern, etwa auch durch vereinfachte Einreise- und Ausreiseverfahren.
Kasachstan setzte 2006 mit der Verabschiedung eines Amnestiegesetzes einen wichtigen Schritt zur Legalisierung irregulärer Arbeitsmigranten. Dieses Gesetz verleiht Migranten, die bis Juni desselben Jahres ins Land gekommen sind, legalen Status für die Dauer von drei Jahren. Bis Ende 2006 wurden 165 000 irreguläre Arbeitsmigranten legalisiert – eine große Leistung für Kasachstan und in der GUS ein Einzelfall. 2013 novellierte Kasachstan mehrere innerstaatliche Gesetze über die Beschäftigung von Hausangestellten, wodurch wieder eine beträchtliche Zahl von zuvor illegalen Migranten legalisiert und gleichzeitig der Staatshaushalt durch die Steuerabgaben der Migranten erhöht wurde. Doch das sind Ausnahmen in Zentralasien. Die institutionelle Basis für Migration ist insgesamt noch immer schwach. Die nationalen rechtlichen Regelungen sind ungenügend ausgebildet und entsprechen nicht immer internationalen Standards.
Es bedarf auch einer besseren Institutionalisierung der Einstellungsmechanismen, um den Zugang von Migranten zum Arbeitsmarkt des Ziellandes zu erleichtern. Derzeit organisiert sich die Arbeitsmigration größtenteils über die informelle Vernetzung der Migranten, die einander gegenseitig unterstützen. Laut einer von der Verfasserin 2005 durchgeführten Umfrage fanden 31 Prozent der Arbeitsmigranten in Kasachstan Arbeit über Freunde und Bekannte, 22 Prozent über Verwandte und 20 Prozent ohne derartige Vermittlung. Nur fünf bis sieben Prozent fanden über Arbeitsvermittlungsstellen Beschäftigung. Es handelt sich also hauptsächlich um illegale Arbeitsvermittlungsnetze, deren Mittelsmänner spontan beziehungsweise auf dem Schwarzmarkt tätig sind. Einstellung und Beschäftigung könnten sich leichter selbst regulieren, gäbe es eine frei und einfach zu nutzende elektronische Datenbank mit Stellenangeboten.
Die Achtung der Rechte von Arbeitsmigranten ist die Grundvoraussetzung für eine legale und zivilisierte Migration, doch sie werden üblicherweise verletzt. Eine von der Verfasserin 2011 in Kasachstan durchgeführte soziologische Untersuchung zeigte massive Verletzungen der sozialen und Arbeitnehmerrechte von Migranten auf. 47,5 Prozent hatten mit Arbeitgebern zu tun, die sich weigerten, einen Arbeitsvertrag zu unterschreiben oder ihr Arbeitsverhältnis zu formalisieren, 53,5 Prozent mussten längere Zeit auf ihren Lohn warten, 17,8 Prozent erhielten überhaupt keinen Lohn. 12,9 Prozent wurden gezwungen, unbezahlt zu arbeiten; 30,7 Prozent wurden die Pässe abgenommen; 41,6 Prozent durften ihren Arbeitsplatz nicht verlassen und 17,8 Prozent wurde der Zugang zu medizinischer Versorgung untersagt. Die soziale Infrastruktur in den Zielländern ist unzureichend. So ist etwa das Vermietungssystem in Kasachstan noch weitgehend unentwickelt. Es besteht Bedarf an Kindergärten, Schulen und Gesundheitsdiensten und es müsste ein System geschaffen werden, damit Migranten sich beruflich fortbilden können.
Eine Zusammenarbeit zwischen den Regierungen und der Zivilgesellschaft bei der Behandlung von Migrations- und anderen Fragen gibt es kaum – ein Erbe der totalitären Vergangenheit. Es bedarf eines Dialogs, in den auch internationale Organisationen, Experten und die Medien eingebunden sind, um mögliche neue Mechanismen der Zusammenarbeit in Fragen der Arbeitskräftemobilität und Migrations-Governance auszuloten. Diese Mechanismen könnten Arbeitsgruppen zur Ausarbeitung von Gesetzen, öffentliche Anhörungen, die Überwachung der Durchführung von Gesetzen sowie Missionen zur Beurteilung von Programmen und Projekten beinhalten. Besondere Beachtung sollte der Forschung, der Bewusstseinsbildung, der Beeinflussung der öffentlichen Meinung sowie Kampagnen über Migrationsfragen und über den Beitrag der Migranten zur Gemeinschaft und zur Volkswirtschaft gelten.
Die Herkunftsstaaten sollten sich sogar noch aktiver als die Zielländer mit der Steuerung der Arbeitsmigration befassen. Sie sollten vor der Ausreise Berufsbildungs- und Sprachkurse anbieten, über die Rechtslage aufklären und über die Kultur und Traditionen des Ziellandes informieren. Der Zugang zum Arbeitsmarkt sollte öffentlich und kostenlos und nicht nur über Migrantennetzwerke erfolgen.
Strategische Antworten
Bei allen Herausforderungen gab es auch positive Initiativen in der Migrations-Governance, die es verdienen, in Betracht gezogen und verbreitet zu werden. Abgesehen von der Migrationsamnestie 2006 und den beschriebenen Gesetzesänderungen aus dem Jahr 2013 hat Kasachstan mehrere Rückübernahmeabkommen sowie bilaterale Abkommen mit Kirgisistan und Tadschikistan zur Regelung der Arbeitsmigration und zum Schutz der Migrantenrechte unterzeichnet. Im Rahmen der GUS und der Eurasischen Union wurden Übereinkommen zum Schutz der wirtschaftlichen und sozialen Rechte der Migranten unterzeichnet.
Diese Erfahrungen können sich Russland und andere Länder mit vielen irregulären Migranten zunutze machen. Um das Beste daraus zu machen, braucht es eine ständige und grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Ministerien, Regierungsstellen, nichtstaatlichen und internationalen Organisationen, einschließlich der Internationalen Organisation für Migration, der Internationale Arbeitsorganisation und der OSZE.
Dr. Jelena Sadowskaja ist internationale Konsulentin für Migration und Migrationspolitik in Kasachstan und Zentralasien mit Sitz in Almaty (Kasachstan). Sie ist Mitglied der Global Migration Policy Associates in Genf.
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