Mission (im)possible: Wiederaufnahme des europäischen Sicherheitsdialogs
von Fred Tanner und Juraj Nosal
Die Sicherheitslage in Europa ist gefährlicher geworden und ein konzertierter diplomatischer Prozess, der sich mit ihr befasst, ist notwendiger denn je. Das waren die Schlussfolgerungen der Diskussionen, die im Laufe des Jahres 2016 auf Initiative der Mitglieder des Panel of Eminent Persons on European Security as a Common Project organisiert und auf einer Nebenveranstaltung des Ministerrats in Hamburg präsentiert wurden.
Wie tief die Kluft zwischen den OSZE-Teilnehmerstaaten ist, die das kooperative Sicherheitsregime in Europa bedroht, wurde vor einem Jahr deutlich, als das Panel of Eminent Persons on European Security as a Common Project, das vom Schweizer Vorsitz 2014 ins Leben gerufen wurde, um einen Weg aus der Sackgasse zu finden, auf dem Ministerratstreffen in Belgrad seinen Abschlussbericht vorstellte. Die Gruppe namhafter Persönlichkeiten aus allen Teilen der OSZE-Region konnte sich nicht auf ein gemeinsames Narrativ einigen, das den Zusammenbruch des Vertrauens erklärt. Stattdessen präsentierte sie drei miteinander in Wettstreit stehende Schilderungen der Ereignisse in Europa seit dem Ende des Kalten Krieges – aus Sicht des Westens, aus Sicht Moskaus und aus Sicht der „Staaten dazwischen“.
Das Panel of Eminent Persons war sich jedoch einig in seiner Einschätzung, dass die Sicherheitslage in Europa so gefährlich sei wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr, sowie in seinem Aufruf zu einem belastbaren politischen und diplomatischen Prozess, der mit einem Gipfeltreffen enden solle, um die europäische Sicherheit auf kooperativer Grundlage wiederherzustellen.
Diese Diagnose wurde nun von einem neuen Bericht bestätigt, der die Ergebnisse von Outreach-Veranstaltungen vorstellte, die von verschiedenen Mitgliedern des Weisenrates das ganze Jahr 2016 hindurch initiiert worden waren, um die Diskussion voranzutreiben – in Washington, Brüssel, London, Berlin, Rom, Athen und Kiew sowie am Rande multilateraler Konferenzen, einschließlich der Münchner Sicherheitskonferenz, des Warsaw Security Forum, der Konferenz von Riga und des Globsec Bratislava Security Forum.
Die Diskussionen spiegelten eine Sicherheitslage in Europa wieder, die im Vergleich zum Vorjahr sogar noch instabiler und unberechenbarer geworden ist, geprägt durch andauernden Beschuss trotz ausgehandelter Waffenruhe in der Ostukraine, die weitere Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen, festgefahrene Gespräche über Rüstungskontrolle, Anzeichen dafür, dass bestehende Übereinkommen aufgekündigt werden könnten, und eine unverändert hohe Zahl an gefährlichen militärischen Zwischenfällen, insbesondere zwischen Russland und den NATO-Mitgliedsstaaten.
In Anbetracht dieser vergifteten Atmosphäre riefen zahlreiche Teilnehmer bei den Outreach-Diskussionen dazu auf, die OSZE intensiver als Plattform für einen inklusiven Sicherheitsdialog, zur Deeskalation und zur Entspannung zu nützen. Der Aufruf des Panels zu einem strukturierten politischen Dialog zur europäischen Sicherheit unter der Schirmherrschaft der OSZE fand breite Resonanz. Hier einige der Schlüsselthemen, auf die sich ein solcher Prozess laut dem Bericht konzentrieren sollte:
„Die Staaten dazwischen“: Die Staaten, die mit dem Zerfall der Sowjetunion unabhängig wurden, deren Sicherheitsstatus jedoch noch immer nicht definiert ist, wurden im ersten Bericht des Panels als „Staaten dazwischen“ bezeichnet. Ihre militärischen und wirtschaftlichen Außenbeziehungen sind umstritten und sie bekennen sich weder zum „westlichen“ noch zum „östlichen“ Narrativ zur europäischen Sicherheit. Diese territoriale Ungewissheit ist eine der Ursachen für die geopolitische Instabilität in Europa. Der Sicherheitsstatus der „Staaten dazwischen“, und allgemeiner, der Sicherheitsregimes und
-Garantien in Bezug auf diese Staaten müssen angesprochen werden.
Langzeitkonflikte: Es sollten neue Bemühungen zur Lösung der Langzeitkonflikte im OSZE-Raum unternommen werden und bestehende Verhandlungsformate sollten zur Vertrauensbildung nicht nur zwischen den Konfliktparteien genutzt werden.
Rüstungskontrolle: Der Dialog zur konventionellen Rüstungskontrolle und zu vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen muss wieder aufgenommen werden.
Verminderung der Risiken: Die OSZE muss ihre Maßnahmen zur Risikoverminderung verstärken, um die Verhütung und das Krisenmanagement von militärischen Zwischenfällen und Unfällen zu verbessern – vor allem deshalb, weil der NATO-Russland-Rat bisher nicht in der Lage war, sich mit diesem Thema zu befassen.
Konnektivität: Wirtschaftliche Konnektivität ist ein weiterer Bereich, der mehr Aufmerksamkeit verdient und das Potenzial besitzt, Spannungen abzubauen, die Zusammenarbeit zu fördern und die Geschäftswelt sowie die Zivilgesellschaft einzubinden.
Stärkung der OSZE: Viele Teilnehmer der Outreach-Veranstaltungen des Panel of Eminent Persons riefen dazu auf, die OSZE so zu stärken, dass sie zur Schlüsselinstitution für kooperative Sicherheit wird, und unterstützten die Empfehlungen aus dem Zwischenbericht des Panels, insbesondere betreffend die Rechtspersönlichkeit sowie mehr Autonomie und erhöhte Kapazitäten für Konfliktverhütung und Krisenmanagement.
Zwar ist klar, dass die Diskussionen zu diesen Themen sehr schwierig sein werden und derartige Prozesse einer mission impossible gleichkommen werden; die heutige Situation in Europa ist jedoch so ernst, dass solche Anstrengungen dringender notwendig sind denn je. Die OSZE wurde eben zu diesem Zweck geschaffen und wir sollten sie nützen, bevor gegenseitiges Misstrauen und Konfrontation ein Niveau erreichen, das Verhandlungen unmöglich macht.
Als Amtierender Vorsitzender der OSZE 2016 sagte der deutsche Außenminister Frank Walter Steinmeier in seinem Aufruf zur Wiederaufnahme von Erörterungen zur Rüstungskontrolle, der im August in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien: „Den Versuch zu unterlassen, wäre wenig verantwortungsvoll“. Das OSZE-Ministerratstreffen in Hamburg brachte einige positive Ergebnisse, insbesondere eine Erklärung zur Neubelebung der konventionellen Rüstungskontrolle und der VSBM in Europa, die auch die Aufnahme eines strukturierten Dialogs über die aktuellen und künftigen sicherheitspolitischen Herausforderungen und Risiken im OSZE-Raum begrüßte. Nun ist es Aufgabe des österreichischen OSZE-Vorsitzes, Wege zu finden, wie sich dieser Prozess in Gang bringen und steuern lässt.
Fred Tanner ist Erster Berater und Juraj Nosal ist Projektassistent im OSZE-Sekretariat in Wien.
Das Panel of Eminent Persons on European Security as a Common Project wurde von der OSZE-Troika 2015 (Schweiz, Serbien, Deutschland) beauftragt, die Grundlage für einen inklusiven und konstruktiven Sicherheitsdialog in der euroatlantischen und der eurasischen Region vorzubereiten sowie Empfehlungen auszuarbeiten, wie eine weitere Eskalation zwischen Russland und dem Westen verhindert, Vertrauen wiederaufgebaut und zur Kooperation in Europa zurückgefunden werden kann. Das Panel unternahm nicht den Versuch, Lösungen für die aktuellen Probleme der europäischen Sicherheit vorzuschreiben, denn um nachhaltig zu sein, müssen sie von den Staaten selbst ausgehandelt werden. Stattdessen erstellte es eine Diagnose der aktuellen Krise und machte Vorschläge, wie Antworten gefunden werden können. Mehr Informationen zum Thema: www.osce.org/networks/pep
Renewing Dialogue on European Security: a Way Forward: Report on outreach events of the Panel of Eminent Persons on European Security as a Common Project in 2016: www.osce.org/networks/291001
Back to Diplomacy: Final Report and Recommendations of the Panel of Eminent Persons on European Security as a Common Project www.osce.org/networks/205846
Lessons learned for the OSCE from its engagement in Ukraine: Interim Report and Recommendations of the Panel of Eminent Persons on European Security as a Common Project www.osce.org/networks/164561
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