Jahresrückblick 2016: amtierender OSZE-Vorsitzender Steinmeier
Der im Jahr 2016 amtierende OSZE-Vorsitzende und Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier berichtet über die Ereignisse und Herausforderungen während des OSZE-Vorsitzes.
Was hat der OSZE-Vorsitz für Deutschland bedeutet?
Rein praktisch gesehen ist so ein Vorsitz natürlich erst einmal ein Riesenprojekt, ein Großprojekt jedenfalls. Und das bedeutet konkret: mehr als 300 Veranstaltungen in Wien, in Berlin, im gesamten OSZE-Raum.
Vom informellen Außenministertreffen in Potsdam, das ich in sehr guter Erinnerung habe, über eine wirklich sehr große Konferenz zu Connectivity hier in Berlin , zu Toleranz – ebenfalls hier in Berlin, und dann natürlich dem großen Finale, dem Ministerrat in Hamburg.
Politisch gesehen haben wir, glaube ich, mindestens ein deutliches Signal gesetzt: dass wir uns gerade in diesen stürmischen Zeiten, Zeiten des Umbruchs in der internationalen Ordnung, Zeiten in denen Nationalismus überall wieder erstarkt, dass wir uns jedenfalls zu handlungsfähigen multilateralen Organisationen bekennen. Aber nicht nur das, nicht nur das Bekenntnis, sondern dass wir auch bereit sind in seiner solchen Situation aktiv Verantwortung zu übernehmen.
Was waren bewegende Momente im vergangenen Vorsitzjahr? Was wird Ihnen am meisten in Erinnerung bleiben?
Zu den bewegenden Momenten gehören mit Sicherheit Reisen. Reisen, die ich für mich – auch in meinem langen Außenministerleben – schon als einzigartig begreifen und beschreiben würde. Da war zum Beispiel die Reise nach Transnistrien. Oder die gemeinsame Reise mit meinem französischen Amtskollegen Jean-Marc Ayrault nach Kramatorsk, unmittelbar an der Konfrontationslinie zur Donbass-Region.
Und wir haben persönlich in Augenschein nehmen können, was die Mitglieder der Sonderbeobachtermission dort leisten. Ich will auch hier nochmal sagen: ich habe immer großen Respekt gehabt vor der Arbeit vielen Männer und Frauen gehabt, die dort täglich ihr Bestes geben in einer wirklich schwierigen Sicherheitssituation, in einem schwierigen Sicherheitsumfeld. Mein Respekt ist noch größer geworden, seitdem ich es mit eigenen Augen gesehen haben und mit den Beobachtern gesprochen habe.
Was mir aber auch in Erinnerung bleiben wird, sind sicherlich –weniger erfreulich – die langen Verhandlungsrunden, die wir hatten, die sehr kleinteilige Detailarbeit, die intensive Abstimmung im Kreis der 57. Da braucht man gute Nerven, vor allen Dingen mal langen Atmen. Aber am Ende macht gerade dieses Engagement, diese Haltung, glaube ich, den entscheidenden Unterschied.
Was waren die schwierigsten Momente Ihres Vorsitzjahres? Was waren die größten Herausforderungen?
Wir wussten ja, dass wir den Vorsitz in wahrlich turbulenten Zeiten übernehmen, zahlreiche Konflikte und Krisen haben uns erwartungsgemäß in Atem gehalten. Es gab und gibt ernste Gefahren für Frieden und Sicherheit.
Auch die Frage von Krieg und Frieden ist ja nach der Annexion der Krim, nach den militärischen Auseinandersetzungen in und um die Ostukraine wieder auf den europäischen Kontinent und damit in den OSZE-Raum zurückgekehrt. All das haben wir natürlich in diesem Jahr unseres Vorsitzes deutlich gespürt. Und mehr als wir das wollten, hat Krisenmanagement einen außergewöhnlich großen Platz in unseren Beratungen eingenommen. Entsprechend schwierig waren die Treffen, häufig von kontroversen Debatten geprägt.
Zwei Themen, die uns mit großer Dringlichkeit und immer wieder in den unterschiedlichen Formaten beschäftigt haben, waren natürlich der fortdauernde Konflikt in der Ostukraine, die wichtige Rolle der OSZE dort in der Sonderbeobachtermission und als Mediator in der Trilateralen Kontaktgruppe.
Aber das war nicht der einzige Konflikt. Auch ein Konflikt, der schon etwas in Vergessenheit geraten war, mindestens in der europäischen Öffentlichkeit, war der Konflikt in Berg-Karabach, der nach den Eskalationen im Frühjahr dieses Jahres, wieder in den Vordergrund getreten ist und wo die Vermittlung der OSZE (schon eine Rolle gespielt hat,) eine entscheidende Rolle gespielt hat, dass Deeskalation Platz greifen konnte und das jetzt hoffentlich wieder Raum geschaffen wird für die Gespräche über eine politische Lösung.
Worauf sind Sie stolz? Hätten Sie gerne etwas anders gemacht?
Natürlich wünscht sich jeder OSZE-Vorsitz, dass man noch weiter kommt.
Aber wenn Sie danach fragen, worauf ich stolz bin: Da bin ich stolz natürlich zuvörderst auf mein Team. Das sind die Kollegen im OSZE-Stab im Auswärtigen Amt ebenso wie diejenigen an der OSZE-Vertretung in Wien. Denen gebührt mein Dank und mein Respekt für die tolle und engagierte Arbeit, die sie geleistet haben nach einem Arbeitsprinzip, das den Konsens unter den 57 Teilnehmerstaaten immer wieder zur Notwendigkeit macht.
Natürlich bin auch dankbar für die Arbeit des OSZE-Sekretariats und der vielen Frauen und Männer in den Feldmissionen, die dort täglich unter nicht ganz einfachen Bedingungen ihre Arbeit tun. Auf all das können wir stolz sein.
Stolz aber auch darauf, dass es uns – trotz vieler Kontroversen, trotz verhärteter Positionen und trotz schwieriger Debatten, die wir hatten – neben all dem und dem täglichen Krisenmanagement auch gelungen ist, mindestens zwei neue Themen zu setzen.
Das erste ist die Initiative zur Rüstungskontrolle. Und ich glaube, auch mit der Konnektivitätskonferenz ist es zum ersten Mal gelungen, auch Wirtschaftsvertreter wirklich einzubeziehen in diesen OSZE-Prozess. Und vielleicht haben wir etwas Raum geschaffen dafür, dass die gemeinsamen Interessen jedenfalls leichter identifizierbar sind, als das in der Vergangenheit der Fall war.
Ich vergesse aber auch nicht, Auftritte zum Beispiel mit Daniel Barenboim und seinem West-Östlichen Diwan-Orchester bei der Eröffnung unserer Toleranzkonferenz. Und damit haben wir aktuelle und drängende Themen ebenfalls auf die Agenda der OSZE gesetzt.
Was raten Sie Ihrem Nachfolger, dem österreichischen Außenminister?
Ich wünsche meinen Amtskollegen Sebastian Kurz in seinem Land für die ehrenvolle, ich kann aber auch sagen: nicht immer dankbare Aufgabe des OSZE-Vorsitzes, alles Gute, eine glückliche Hand und, ich habe es gesagt, vor allem viel von der notwendigen Geduld, die man braucht, um am Ende zu einem Abschluss zu kommen, [um] lohnenswerte Diskussionen und Abstimmungsprozesse zu einem Ergebnis zu bringen.
Eines können wir jedenfalls von hier aus, von Berlin aus, versichern: Wir lassen den neuen Vorsitz mit dieser schwierigen Aufgabe nicht allein und werden ihm jederzeit als Teil der Troika, wenn gewünscht, mit Rat und Tat zur Seite stehen.