Die Macht der Erzählung: Warum die Art und Weise, wie Migration kommuniziert wird, wichtig ist
Wie viele Migranten sind zu viele? Jüngste Studien legen offen, dass alternde Gesellschaften Arbeitsmigranten benötigen, um das Produktivitätsniveau aufrechtzuerhalten. Bei allen Qualifikationsstufen leiden Wirtschaftssektoren zunehmend unter Arbeitskräftemangel, mit Nebenwirkungen auf die langfristige Tragfähigkeit der Sozialsysteme. Stellt man diese Frage jedoch in einem Familien- oder Freundestreffen, wird es oft eine lebhafte, wenn nicht knallharte Debatte über die vielen Migranten, derer es zu viele im Land gibt.
Warum scheinen die Menschen in Bezug auf Migration so unterschiedlicher Meinung zu sein?
Wenige Themen polarisieren die Meinungen so sehr wie Migration. Die Frage nach der Regulierung der menschlichen Mobilität kann eine Nachbarschaft spalten, Wahlen entscheiden oder zwischenstaatliche Beziehungen bestimmen. Die Implikationen dieser polarisierten Debatte über sozialen Zusammenhalt und Stabilität sind offensichtlich. Jedoch beruhen die Meinungen der Menschen über Migration selten auf Fakten. Laut der Studie „Perils of perception“ des Meinungsforschungsinstituts Ipsos MORI im Jahr 2015 glauben die Menschen in den 33 untersuchten Länder – die meisten davon in der OSZE-Region –, dass 25 % der Bevölkerung Migranten sind – obwohl die tatsächliche Zahl niedriger ist als die Hälfte davon (10%). In viel kleinerem Maßstab bestätigen die Ergebnisse der Umfrage im Newsletter „Moving Stories“, dass die Menschen „groß denken“, wenn sie nach dem Anteil internationaler Migranten an der Weltbevölkerung gefragt werden.
Die größten Verzerrungen im Sinne einer Überschätzung sind in der Regel in Ländern mit geringer Einwanderung zu verzeichnen. Aber auch Länder mit langjähriger Migrationstradition tappen in die Falle falscher Wahrnehmung. Tatsächlich sind unsere Vermutungen zu diesen Fragen teils emotional – sie senden eine Botschaft über unsere Sorgen. Wenn Migration ein großes Problem darstellt, neigen wir dazu, eine große Zahl auszuwählen, auch wenn die Migrationsanteil in Wirklichkeit viel niedriger ist.
Das Ergebnis ist, dass emotional aufgeladene und anekdotische Erzählungen über Migranten, die oft stark vereinfacht und düster sind, die öffentliche Debatte dominieren und Argumente, die auf soliden Daten und Evidenz basieren, übertönen.
Die Folgen einer polarisierten Debatte über Migrationspolitik
In polarisierten Gesellschaften ist es schwierig, politische Argumente allein mit Fakten zu gewinnen. Die Entwicklung einer effektiven Migrationspolitik ist daher nicht länger - und nicht nur - eine technische Frage. Neben ökonomischer Evidenz ist ein förderliches Umfeld erforderlich, um die Kluft zwischen Wahrnehmung und Realität von Migranten zu überwinden. Da Migration das ist, was wir daraus machen, muss es ein starkes Bedürfnis der Öffentlichkeit geben zu verstehen, wie verschiedene politische Entscheidungen positive oder negative wirtschaftliche Auswirkungen haben, und zwar durch Botschaften, die über „große“ Bedenken hinaus Anklang finden.
Migration effektiver kommunizieren
Natalia Banulescu-Bogdan legt in „When facts do not matter“ die Herausforderungen einer effektiven Kommunikation von Migration über ein bereits unterstützendes Publikum hinaus dar, wo sie beschreibt, wie Menschen dazu neigen, Informationen abzulehnen, die nicht mit ihrer bestehenden Weltsicht übereinstimmen.
Aufbauend auf diesen Ergebnissen und weiterer Literatur zu öffentlichen Einstellungen zur Migration möchte das E-MINDFUL-Projekt eine Reihe von Leitlinien zusammen mit operativen Instrumenten bereitstellen, um Migration effektiv zu kommunizieren, Herausforderungen und Chancen anzuerkennen, Ängste anzugehen und Spaltungen zu überbrücken. Die Förderung eines positiven Kreislaufs zwischen Einstellungen gegenüber Migranten und der Migrationspolitik wird es Regierungen ermöglichen, ein förderliches Umfeld zu schaffen, in welchem die positiven wirtschaftlichen Auswirkungen der Migration zum Nutzen der Aufnahme- und Herkunftsgemeinschaften, der Staatshaushalte und der Migranten selbst genutzt werden können. Die Veranstaltung „Einstellungen jenseits der Polarisierung verstehen“, die anlässlich des Internationalen Migrantentages 2021 organisiert wurde, ist ein weiterer Schritt in diese Richtung.